Dass es in deutschen Fernsehserien mal das ein oder andere lesbische Liebespaar gibt, ist seit Mitte der 1990er Jahre keine Seltenheit mehr. Noch nie hat aber eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen in einer deutschen Serie eine solche Reaktion ausgelöst wie die zwischen den beiden ungleichen Schülerinnen Jenny und Emma in der Sat.1-Telenovela „Hand aufs Herz“, und das nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Sogar auf Webseiten aus Frankreich, Spanien und den USA erscheinen inzwischen regelmäßig Beiträge über die „Jemma Revolution“, wie Clare Lawlor vom kanadischen Radiosender CBC das Phänomen nennt.
Aber warum ist es gerade diese Geschichte, die im Rahmen dieser Serie erzählt und von diesen Schauspielerinnen gespielt wird, die in so vielen Leuten so viel auslöst?
Wo könnte man diesem Phänomen am ehesten auf die Spur kommen als am Set von „Hand aufs Herz“?
Der Weg zu „Hand aufs Herz“ und damit zu „Jemma“ führt mich an diesem Morgen Anfang Juni nicht, wie man annehmen könnte, nach Köln, sondern in das brandenburgische Strausberg, ca. eine Stunde östlich von Berlin. Und spätestens bei der Ankunft dort erschließt sich einem der kleine Insider-Witz der Autoren, als sie die frisch aus London eingetroffene Jenny Hartmann anmerken ließen, die Schule sehe irgendwie ein bisschen wie eine Kaserne aus: Es ist nämlich eine.
Aus der ehemaligen Strutzberg-Kaserne, die zuvor mehrere Jahre leer gestanden hatte, wurde im Sommer 2010 in kürzester Zeit die Pestalozzi-Schule. Aber nicht nur Klassenzimmer, Lehrerzimmer und natürlich die Aula wurden hier eingerichtet, sondern zum Beispiel auch die Wohnungen der Vogels und der Beschenkos sowie das Chulos und das Saal 1, und das jeweils in buntem Durcheinander mit Produktions- und Postproduktionsbüros. So führt der Weg ins Chulos vorbei am Empfang und durch den Catering-Bereich, das Saal 1 liegt hinter der Eingangshalle, und auf dem Weg zum Konferenzraum kann man noch einen Blick in Bea Vogels Zimmer werfen.
Da alles so nah beieinander liegt, ist es kein Wunder, dass ich auf Schritt und Tritt einem bekannten Gesicht begegne, seien es Hauptdarsteller wie „Bea“ Vanessa Jung und „Michael“ Andreas Jancke, oder aber Komparsen, die so manche Fans aufgrund wiederholten Ansehens bestimmter Szenen inzwischen ebenfalls ohne Schwierigkeiten wiedererkennen dürften.
Und natürlich treffe ich hier auch diese Zwei: „Emma“ und „Jenny“ alias Kasia Borek und Lucy Scherer.
Den Vormittag über haben sie gedreht, für den Abend ist ein großer Live-Chat mit den Fans geplant, aber zwischendurch ist zum Glück ein bisschen Zeit für die neugierigen Fragen einer gewissen Bloggerin an die beiden Damen, deren bloße Erwähnung inzwischen Fanherzen auf der ganzen Welt höher schlagen lässt und deren gefühlvolles und überzeugendes Spiel einer der wesentlichen Gründe für den aktuellen „Jemma“-Hype sein dürfte.
Und die, wie es scheint, vom Erfolg der von ihnen gespielten Liebesgeschichte fast so überrollt worden sind wie die Server von Rosalie & Co. und Sat.1 von den Fans.
„Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass sich so viele für die Geschichte von Emma und Jenny interessieren“, sagt Kasia Borek dazu im Interview. „Ich hatte schon das Gefühl, dass es gut gespielt ist, weil Lucy und ich aufeinander eingehen, weil wir offen sind, weil wir unseren Beruf lieben.“ Dass das alles aber noch eine Dimension weitergeht, damit habe sie nicht gerechnet.
Ähnlich überrascht worden vom Erfolg von „Jemma“ ist auch Lucy Scherer. „Wir hätten so etwas nie erwartet, mit so etwas rechnet man einfach nicht.“ Für sie hat der Erfolg insbesondere etwas mit dem behutsamen Aufbau der Geschichte zu tun, aber auch damit, dass die Chemie zwischen den beiden Darstellerinnen stimmt. „Man muss das als Schauspieler zwar auch spielen können, wenn man privat ganz andere Gefühle für den Partner hat. Ich glaube aber, wenn es da eine Antipathie gäbe, würde das irgendwie zu sehen sein, auch weil man vor der Kamera weniger verstecken kann.“
Von dem Hype um ihre Figuren und auch um ihre Personen bekommen beide nicht so viel mit, wie sie vielleicht könnten, was aber insbesondere bei Kasia durchaus Absicht ist: „Ich versuche bewusst, neutral zu bleiben, weil ich mir dadurch Raum für meine Rolle schaffe.“ Eine Beurteilung ihrer Arbeit wolle sie daher auch gar nicht selbst vornehmen, sondern das überlasse sie lieber den Fans.
Und die übernehmen das gern, wie die Begegnungen zwischen den Fans und „ihren“ Stars auf dem Fantag Anfang Mai in Berlin und auch bei den Soap Awards Anfang Juni in Hamburg gezeigt haben, und von denen beide Schauspielerinnen sehr beeindruckt waren.
„Als ich beim Fantag diese begeisterten Gesichter gesehen habe, ist mir das erste Mal so richtig bewusst geworden, dass das, was man tut, einen Sinn macht“, so Kasia. Und auch Lucy war beeindruckt, was da am Fantag an „warmherziger Begeisterung“ auf die beiden eingestürzt ist. Besonders berührt hat sie aber ein Erlebnis bei den Soap Awards, als ihr einige Fans nach Ende der Veranstaltung noch ein Ständchen gebracht und „Be Mine“ für sie gesungen haben. „Das hat mich total gefreut.“
Auch Writer-Producer Petra Bodenbach freut sich sehr über die positive Resonanz auf die Liebesgeschichte zwischen Jenny und Emma. Eine mögliche Erklärung für den Hype ist für sie, dass die Geschichte von Jenny und Emma sehr universell ist. Es gehe um Liebe, und dass sei etwas, das die Menschen immer berühre, und zwar völlig unabhängig davon, „ob es zwei Frauen sind, die sich ineinander verlieben, oder zwei Männer oder ein Mann und eine Frau.“
Dem Team hinter „Hand aufs Herz“ sei es besonders wichtig gewesen, in der Serie auch eine Coming-Out-Geschichte zu erzählen, um damit auf die schwulen- und lesbenfeindliche Atmosphäre an deutschen Schulen aufmerksam zu machen: „Solange „schwul“ das beliebteste Schimpfwort an deutschen Schulen ist, war für uns klar, dass wir darüber etwas machen müssen.“ Bemerkenswert sei, dass es bisher auf die Liebesgeschichte von Jenny und Emma keinerlei negative Reaktionen gegeben habe.
Aber zurück zur Spurensuche am Set von „Hand aufs Herz“, denn hier sind ja nicht nur den Menschen, die hinter „Jemma“ stehen, sondern auch die Kulissen, die den Hintergrund für die Liebesbeziehung zwischen Jenny und Emma bilden und die so manch einem Zuschauer inzwischen fast so vertraut vorkommen dürften wie das eigene Wohnzimmer.
Da ist das Klassenzimmer, in dem Jenny und Emma sich zum ersten Mal begegnet sind. Da sind die Schließfächer, vor denen Jenny die verdutzte – aber im Nachhinein selig grinsende – Emma zum ersten Mal geküsst hat. Und da ist natürlich die Aula, in der sie geknutscht und gestritten haben und in der Emma nach Jennys Beichte über den Ausrutscher mit Ben so herzzerreißend „Sweet Dreams“ gesungen hat.
Und vielleicht trägt auch die Tatsache, dass dies hier kein Studio mit Pappwänden und künstlicher Beleuchtung ist, sondern dass hier die Räume richtige Mauern haben und dass man vom Fenster neben dem „Büdsche“ tatsächlich auf den Hof und die Statue mit den Büchern sehen kann, auf der Emma Jenny vor den Augen der ganzen Schule küsst, und dass die Toilette, in der Jenny der zutiefst verletzten Emma eine wundervolle Liebeserklärung gemacht hat, tatsächlich einmal als Toilette genutzt wurde – was man spätestens anhand des entsprechenden unangenehmen Geruchs bemerkt, der mit nichts zu bekämpfen ist – dazu bei, dass sich diese Geschichte einfach ein bisschen anders anfühlt, ein bisschen echter, ein bisschen realer, und die Zuschauer daher noch ein bisschen mehr berührt.
Was also lässt sich als Ergebnis der Spurensuche am Set von „Hand aufs Herz“ festhalten?
Dass die Serie für alle Beteiligten – von den AutorInnen über die SchauspielerInnen bis hin zu den Verantwortlichen für das Setdesign – passend zum Titel tatsächlich eine Herzensangelegenheit zu sein scheint, und dass das nicht nur, aber eben auch für „Jemma“ gilt.
Und diese Erkenntnis lässt die erste Zeile im Titelsong von James Blunt plötzlich umso passender erscheinen:
„And if this is what we’ve got, then what we’ve got is gold…“