Der Schweizer Tatort betritt Neuland: Erstmals darf in der Krimireihe eine Kommissarin eine Frau lieben, und zwar nicht nur für eine Folge. Das unfreiwillige Coming-Out von Liz Ritschard geriet dabei angenehm unspektakulär, und gerade deshalb ist es gelungen.
Für regelmäßige Tatort-Gucker ebenso wie für die meisten Fernseh-Kritiker gehört es inzwischen ja schon fast zum guten Ton, am Schweizer Tatort kein gutes Haar zu lassen: Die Fälle seien zu konfus oder zu uninteressant, das Tempo zu behäbig, und dann noch diese furchtbare Synchronisation.
Auch an dem am Ostermontag ausgestrahlten fünften Fall des Luzerner Duos Flückiger und Ritschard wurde kräftig herumgemäkelt, und sicherlich nicht zu Unrecht. Die Geschichte um das „Ich sehe tote Menschen“-Medium, das der Polizei erst anbietet, das Opfer – eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern – selbst zu fragen, wer sie denn nun getötet hat, und sie schließlich tatsächlich auf die Spur zur Lösung des Falls bringt, war reichlich abgehoben und schien außerdem unnötig. Und auch das ewige Baden von Kommissar Reto Flückiger, wahlweise in Selbstmitleid um seine verpasste Chance auf eine eigene Familie oder im Vierwaldstättersee, wahrscheinlich um eben jenes Selbstmitleid zu ertränken und sich selbst vielleicht gleich mit, nahm eindeutig zu viel Raum ein. Das war schade, da es vom eigentlichen Thema und der damit verbundenen eindringlichen Botschaft des Films ablenkte: Wie sehr Kinder leiden und zu welchen Katastrophen es führen kann, wenn Eltern auf dem Ego-Trip die eigene Selbstverwirklichung über die Interessen und das Wohl ihres Nachwuchses stellen.
Was dagegen wenig Anlass zur Kritik bot, war die Geschichte um Flückigers Kollegin Liz Ritschard.
Bereits in einer im vergangenen Jahr ausgestrahlten Episode aus der Schweiz hatte sie mit einer Frau angebandelt, aber damals war noch unklar geblieben, ob dies nicht eine einmalige Sache bleiben würde. Anders als Spiegel Online-Autor Christian Buß, der sogleich das lesbische Coming-Out der Kommissarin ausrief, blieben Regisseur Dani Levy und Liz-Darstellerin Delia Mayer nämlich eher zurückhaltend, was die sexuelle Orientierung von Liz anging.
Ob Liz nun tatsächlich dauerhaft das Ufer gewechselt hat, wurde zwar auch in dieser Folge nicht klar; auch hier ist Christian Buß vielleicht wieder etwas vorschnell, wenn er sie als „die einzige offen homosexuelle Ermittlerfigur im „Tatort“-Kosmos“ bezeichnet. Eine Frau gibt es in Liz‘ Leben jedenfalls immer noch, und dass die beiden wohl nicht nur miteinander Squash spielen, wurde spätestens klar, als Liz ihre Partnerin auf dem Squash-Court küsste.
Diese Szene war so kurz und beiläufig, dass man sie als ZuschauerIn bei einmal Blinzeln verpasst hätte. Sie steht damit symbolisch dafür, wie das Thema der Sexualität von Liz insgesamt behandelt wurde: Unspektakulär. Und zwar so unspektakulär, dass dieser Aspekt in Medienberichten über den Tatort vom Montag kaum Erwähnung findet, was insofern erstaunlich ist, als der Schweizer Tatort hier Neuland betritt.
Denn gleichgeschlechtliche Liebe und Homosexualität wurden in Tatort-Folgen zwar schon thematisiert, aber leider meistens sehr einseitig: Homosexuell waren bisher, wenn überhaupt, Opfer, Täter oder Verdächtige, und allzu oft diente die sexuelle Orientierung von Täter und/oder Opfer dabei auch gleich als Motiv für das jeweilige Verbrechen, in der Regel Mord. Die Ermittlerinnen und Ermittler waren dagegen bisher durchgehend heterosexuell. Zwar durfte schon einmal eine Kommissarin eine Frau küssen und sich ein wenig in sie verlieben, und zwar Lena Odenthal in der Folge „Fette Krieger“. Diese Geschichte war jedoch mit dem Ende der Folge auch vorbei, und Frau Odenthal teilt ihr Bett nach wie vor, wenn überhaupt, nur mit ihrer Katze.
Mit dieser einen kurzen Kuss-Szene zwischen Liz und ihrer Freundin hätten die Schweizer es also eigentlich bewenden lassen können, um dennoch Tatort-Geschichte zu schreiben. Weil sie die Sexualität von Liz aber wohl nicht nur um ihrer selbst willen beleuchten wollten, sondern auch irgendwie eine Verbindung zum Fall hergestellt werden sollte, musste ein Foto von dem Kuss auf der Webseite einer radikalen Väterorganisation landen, der einer der Verdächtigen angehörte – was angesichts der Kürze und Beiläufigkeit des Kusses ein wenig konstruiert wirkte – und Liz als „Männer hassende Lesbe“ dargestellt werden. Gerettet wurde dies aber durch die Reaktion von Liz. Denn nach dem ersten Schreck – herrlich, wie Frau Kommissarin hier spontan das F-Wort herausrutschte – und dem unfreiwilligen Coming-Out vor dem Kollegen, verfiel sie nicht in Panik oder Hysterie, sondern regelte die Situation souverän und professionell, indem sie die Herren nicht wegen des persönlichen Angriffs auf sie anging, sondern sie als feige Stalker ihrer Ehefrauen entlarvte. Schön auch, dass sie dafür nicht den männlichen Beistand des Kollegen benötigte, der sowieso reichlich unnütz war, da intensiv mit seiner späten Midlife-Krise beschäftigt, sondern die Männer ganz allein in die Enge trieb und überführte. Wer hierin das Klischee einer toughen Lesbe erkennen möchte, mag dies tun, so rüber kam es jedoch angenehmerweise nicht.
Auch dass den ZuschauerInnen ein verklemmter Seelenstriptease vor dem Kollegen oder eine verdruckste Diskussion über Liz‘ Sexualität erspart blieb, ist erfrischend. Das Thema kam zwischen den beiden nur noch einmal kurz auf, als Liz feststellte, dass Reto wohl nicht viel von Frauen versteht, und er daraufhin „Aber du“ erwiderte. Allein anhand dieser Szene wurde die Rollenverteilung zwischen den beiden in diesem Fall deutlich: Liz versteht nicht nur mehr von Frauen, sondern sie war es auch, die die in den Fall involvierten Männer durchschaute, und während Reto mit sich und der Trauer um sein verpasstes Familienglück beschäftigt war, ließ Liz sich nicht einmal von einem persönlichen Angriff auf sich ablenken.
Von dieser Liz Ritschard würde zumindest ich gern mehr sehen. Und auch sonst hat der Schweizer Tatort, bei aller berechtigten Kritik, meines Erachtens durchaus das Potenzial, eine Bereicherung des Tatort-Kosmos zu sein, gerade weil er eben einiges ein wenig anders macht. Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen für die Reihe in Deutschland und der Schweiz das genauso sehen.
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