Im ersten Teil dieses Specials aus Anlass der Pride Week in Hamburg schreibe ich über die Bedeutung der Darstellung von LGBT*-Figuren und Geschichten auch in Serien und dass deutsche Produktionen hier enorm hinterherhinken. In Teil 2 stelle ich einige Beispiele für Serien vor, die das mit der Vielfalt deutlich besser hinbekommen.
An diesem Wochenende startet in Hamburg die Pride Week. Höhepunkt ist wie in jedem Jahr die CSD-Demonstration, die am kommenden Samstag durch die Hamburger Innenstadt zieht. Ziel des Hamburg Pride ist es u.a., die in der Öffentlichkeit bestehenden Vorurteile und Diskriminierungen gegenüber Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell bzw. transsexuell identifizieren oder sich aus anderen Gründen außerhalb der heterosexuellen Mehrheitsnorm mit ihrer klaren Aufteilung in zwei Geschlechter wiederfinden – im Folgenden LGBT* oder auch queer genannt – abzubauen und für die Akzeptanz von Vielfalt in der Gesellschaft zu werben. Mit der „Ehe für alle“, die im vergangenen Jahr nach langem, zähen Ringen endlich eingeführt wurde, ist nämlich noch lange nicht alles erreicht.
Ein Punkt im Katalog der politischen Forderungen von Hamburg Pride** ist eine stärkere und vielfältigere Repräsentation queerer Lebensweisen in den Medien. Dazu gehören natürlich auch Serien. Und da haben deutsche Produktionen einen enormen Aufholbedarf.
Visibility Matters – Sichtbarkeit ist wichtig
Das Thema der Repräsentation von LGBT* in Serien beschäftigt mich schon länger und ich habe schon viel darüber geschrieben, vor allem in meinem Blog Rosalie & Co. Ich finde Vielfalt in Serien wichtig. Nicht nur, damit all die unterschiedlichen Menschen, die gern Serien gucken, die Chance haben, sich dort wiederfinden zu können, mit all ihren unterschiedlichen Geschichten. Sondern auch, damit all diese Menschen mit ihren Geschichten von der Mehrheitsgesellschaft gesehen werden.
Als ich vor einigen Jahren über die Liebesgeschichte zwischen den Schülerinnen Jenny und Emma („Jemma“) in der Sat.1-Telenovela Hand aufs Herz schrieb, hatte ich u.a. Kontakt mit einer Frau, die mir berichtete, wie ihr Weltbild dank der Serie ins Wanken geraten ist. Lange Zeit hatte sie Vorurteile gegenüber Schwulen und Lesben. Durch die Jemma-Geschichte selbst, aber auch durch den Kontakt mit der Fan-Community hat sich ihre Meinung geändert. Das Schreiben über Hand aufs Herz und die Begleitung der Fan-Community in einem Diskussionsforum sowie in meinem Blog hat mich damals sehr viel Zeit und Kraft gekostet. Kontakte wie diese haben mir aber immer wieder vor Augen geführt, warum dieser Einsatz wichtig war und dass es sich gelohnt hat.
Weniger statt mehr
Als Hand aufs Herz lief, vor nunmehr sieben Jahren, waren Jenny und Emma zwar zwei von nur wenigen, aber immerhin nicht die einzigen queeren Frauenfiguren in deutschen Serien. Allerdings waren diesbezüglich vor allem Daily Soaps und Telenovelas Vorreiter. In den klassischen Vorabendserien bzw. im Hauptabendprogramm herrschte weitgehend Fehlanzeige, wenn es darum ging, LGBT* als Haupt- oder Nebenfiguren und nicht in bloßen Episodenrollen zu zeigen. Es gab einige vielversprechende Ansätze – Bärbel in Mord mit Aussicht, Melanie & Helen in Notruf Hafenkante – die jedoch, aus welchen Gründen auch immer, nicht weiterentwickelt wurden. Antworten auf entsprechende Nachfragen bei den jeweiligen Sendern habe ich nie bekommen.
Ich hatte gehofft, dass dies im Laufe der Zeit besser werden würde. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt zwar inzwischen eine lesbische Tatort-Kommissarin, die allerdings nur zweimal im Jahr ermittelt und das auch nur noch bis 2019. Bei den Fällen spielt zudem ihr Privatleben höchst selten eine Rolle. 2015 verschwand zudem die Daily Soap Verbotene Liebe von den deutschen Fernsehschirmen, die im Laufe der 20 Jahre, in denen sie ausgestrahlt wurde, viele schwule und lesbische Paare im Figurenensemble hatte. In einem Beitrag für die taz schrieb ich Ende 2016, dass vor allem Lindenstraße und Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ) die Fahne der Vielfalt im deutschen Serienbereich hochhalten. In der vergangenen Woche wurde bekannt gegeben, dass Linda Marlen Runge, die in GZSZ die lesbischen Anni spielt, die Serie im Spätsommer verlässt.
„No homo“ im deutschen Fernsehen
Vor einigen Wochen beschäftigte sich ein langer Artikel in der Online-Ausgabe der Heilbronner Stimme unter der Überschrift „Das deutsche Fernsehen ist heterosexuell“ mit der Abbildung sexueller Vielfalt in den Öffentlich-Rechtlichen. Der Titel des Beitrags bezieht sich auf das Ergebnis einer Studie der Universität Rostock, die im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis kam, dass Homosexualität im deutschen Fernsehen praktisch nicht vorkommt. Damit wurde zwar im Grunde nur objektiv bestätigt, was ich subjektiv längst befürchtet hatte. Niederschmetternd ist das Ergebnis dennoch.
Fast noch schlimmer sind die Reaktionen der Senderverantwortlichen, die in dem Artikel zitiert werden. So äußert sich eine Sprecherin des ZDF dahingehend, dass die sexuelle Ausrichtung einer Figur dann thematisiert werde, „wenn sie aus dramaturgischen Aspekten von Bedeutung ist“. Was beim ZDF so aussieht: Wenn es darum geht – wie kürzlich bei SOKO Stuttgart geschehen – die eingefahrene Ehe einer SOKO-Kommissarin durch eine kurze Affäre mit einer Frau wieder aufzupeppen, schreibt man auch mal eine lesbische Figur ins Drehbuch. Ansonsten bleiben alle hübsch hetero.
Es geht auch anders
Dass es auch anders geht, zeigen internationale Serien, vor allem aus den USA und Kanada. Insbesondere die Streaming-Anbieter Netflix und Amazon Prime haben mit Originalproduktionen wie Orange Is the New Black, Sense8 oder Transparent gezeigt, dass vielfältige Figurenensembles vom Serienpublikum angenommen werden. In Deutschland ist man derzeit vor allem bemüht, zunächst einmal nicht vollständig den Anschluss an den Serienboom zu verlieren, und setzt verstärkt auf hochwertige Produktionen. Dass dazu auch das Bemühen um ein vielfältiges Figurenensemble gehört, ist leider noch nicht wirklich zu erkennen. Hier muss in Deutschland noch nachgearbeitet werden.
Ein bisschen Hoffnung hat mir kürzlich die Drehbuchautorin Anna Winger gemacht, unter anderem bekannt für ihre Arbeit an der RTL-Serie Deutschland 83. In einer Podiumsdiskussion auf der Media Convention Berlin sprach sie sich ausdrücklich für eine Vielfalt und Diversität von Geschichten und Figuren in ihrer Arbeit aus: „I want to see the world I live in reflected in the work I make.“ Und diese Welt, in der sie lebt, sei nun einmal vielfältig.
Bleibt zu hoffen, dass sie sich damit auch bei den jeweiligen Senderverantwortlichen durchsetzen kann.
Die Pride Week in Hamburg beginnt am 28.07. mit der Eröffnungsveranstaltung, der Pride Night, im Schmidtchen Theater am Spielbudenplatz und geht bis Sonntag, den 05.08. Die CSD-Demonstration startet am 04.08. um 12 Uhr in der Langen Reihe.
**Hinweis: Ich bin aktuell Mitglied im Vorstand von Hamburg Pride e.V. Hier schreibe ich jedoch nicht für den Verein, sondern als Bloggerin, die sich seit vielen Jahren mit diesem Thema beschäftigt.