Im Juni hat Netflix eine neue Staffel der dänischen Politikserie „Borgen“ veröffentlicht. Neun Jahre nach der dritten, bisher letzten Staffel wird in ihr die Geschichte der Hauptfigur Birgitte Nyborg weitererzählt. Dabei schaffen die Seriemacher*innen es, an die Qualität der bisherigen Staffeln anzuschließen – und zwar so gut, dass es mir zeitweise schwer gefallen ist, die Staffel weiterzusehen.
Wenn man mich nach meinen Lieblingsserien fragt, ist eine in der Aufzählung immer dabei: Borgen. Die dänische Politikserie ist für mich eine der besten Serien, die ich je gesehen habe. Ich bin selten von einer Serie so angetan gewesen. Ich habe sogar meine Bachelorarbeit über sie geschrieben. Selbst diese intensive Beschäftigung über mehrere Monate hinweg hat an meiner Begeisterung nichts geändert.
Daher war ich hocherfreut, als bekannt wurde, dass es eine weitere Staffel von Borgen geben würde. Die dritte und bisher letzte Staffel stammte aus dem Jahr 2013.
Anfang Juni 2022 war es soweit. Natürlich habe ich sofort reingeschaut. Und hatte schnell gemischte Gefühle.
Vertraut und doch anders
Einerseits war ich fasziniert, wie schnell die Serie mich wieder in ihren Sog gezogen hat. Ich war zwar ein bisschen enttäuscht, dass die Titelmelodie ersetzt worden war, mit der ich die Serie immer verbunden hatte – und die mir die ganze Zeit im Kopf rumdudelte, als ich vor einigen Jahren Schloss Christiansborg in Kopenhagen besichtigte, von dem sich der Titel der Serie ableitet. Aber ich freundete mich schnell mit der neuen, ebenfalls sehr mitreißenden Musik an. Und es signalisierte, dass die Serie sich weiterentwickelt hatte.
Das Wichtigste war aber natürlich das Wiedersehen mit ihr: Birgitte Nyborg.
In der ersten Staffel war sie überraschend Ministerpräsidentin geworden, ein Amt, das sie in den ersten beiden Staffel ausübte. In Staffel 3 kehrte sie nach einer Pause in die Politik zurück. Nun, in den neuen Folgen, ist die von ihr gegründete Partei „Neue Demokraten“ Regierungspartei, sie selbst Außenministerin. Ihre beiden Kinder sind inzwischen erwachsen und ausgezogen, von ihrem Mann ist sie nach wie vor getrennt, eine neue Liebesbeziehung gibt es nicht. Und so bleibt ihr nur eines: ihre Arbeit. Doch auch dort läuft nicht alles reibungslos. Insbesondere die Beziehung zur – jüngeren – Ministerpräsidentin gestaltet sich schwierig.
Zwischen allen Fronten
Als in Grönland ein großes Ölvorkommen gefunden wird, gerät Birgitte zwischen alle Fronten. Die grönländische Regierung will das Öl fördern, um so die Unabhängigkeit von Dänemark vorantreiben zu können. Teile der dänischen Regierung befürworten dies ebenfalls, insbesondere wegen der damit zu erzielenden Erträge, die auch Dänemark zugute kommen würden. Birgittes Partei ist aus Gründen des Klimaschutzes jedoch dagegen, ebenso ihr Sohn Magnus, der sich in der Klimabewegung engagiert. Auch international kommt es zu Konflikten, da die USA, Russland und China jeweils eigene Interesse auf Grönland und mit dem dortigen Öl verfolgen. Als Birgitte unter Druck gerät, manövriert sie sich selbst in eine Situation, die sie ihr Amt kosten könnte.
Und hier komme ich zum „Andererseits“. Denn es wurde in den ersten Folgen schnell deutlich, dass die Figur Birgitte Nyborg einen Weg einschlagen könnte, der sie weit von dem entfernt, was ich als Zuschauerin gerade in der ersten Staffel an ihr geschätzt hatte: In der Politik weiterhin für ihre Ideale zu kämpfen und für eine andere, offene, transparente Politik einzutreten. Die Birgitte der neuen Staffel drohte, intrigant und unsympathisch zu werden. Das mit anzusehen, bei einer Figur, die man sehr schätzt, ist nicht immer leicht und geht auch nicht immer. Und so brauchte ich nach den ersten Folgen eine Weile, bis ich weitergesehen habe.
Und ja, es wurde unangenehm. Aber etwas, das die Serie auszeichnet, war und ist noch immer, wie differenziert sie komplexe Handlungen, aber vor allem auch komplexe Figuren erzählt. Es wird immer wieder deutlich gemacht, was Birgitte treibt. Und dann ist da auch noch die großartige Sidse Babett Knudsen. Durch Gestik und Körperhaltung macht sie deutlich, dass dies immer noch dieselbe Figur ist – die Birgitte, die man in den ersten Staffeln kennen- und schätzen gelernt hat. Sie schafft es aber auch, deutlich zu machen, was heute in Birgitte vorgeht. So behielt die Figur zumindest meine Sympathie, auch wenn es zeitweise schwer war.
Alte Bekannte und neue Gesichter
Es gibt noch viele weitere Aspekte, die letztlich mit dazu geführt haben, dass ich die neuen Folgen für eine sehr gelungene Fortsetzung halte bzw., wie es sich die Verantwortlichen wohl eher gedacht haben, ein Revival.
Wen ich zum Beispiel noch gar nicht erwähnt habe, deren Geschichte aber ebenfalls weitererzählt wird, ist Katrine Fønsmark. Die Journalistin, die in Staffel 3 als „Spin-Doctor“ eng mit Birgitte zusammengearbeitet hatte, übernimmt zu Beginn der neuen Folgen die Stelle als Nachrichtenchefin des Senders TV1, für den sie lange selbst gearbeitet hat. Durch ihren Führungsstil eckt sie bei ihren Mitarbeiter*innen jedoch an und wird insbesondere in den sozialen Medien hart angegangen. Auch bei ihr geht es letztlich, wie bei Birgitte, um den Umgang mit Macht und was sie tut bzw. auch, was sie aufgibt, um diese Macht zu erhalten.
Neben dem Wiedersehen mit bekannten Gesichtern gibt es auch neue Figuren. Ein großer Teil der Handlung spielt auf Grönland, wo Birgittes Mitarbeiter Asger als sogenannter Arktisbotschafter die Verhandlungen mit der grönländischen Regierung um die Förderung des Öls führt. Er verfolgt dabei einen zunächst eher pragmatischen Ansatz. Bezeichnend ist die Frage, die er Birgitte mehrmals stellt: „Sind wir heute für oder gegen das Öl?“ Aber auch er macht eine Entwicklung durch, insbesondere durch seinen Kontakt mit der Bevölkerung vor Ort.
Die menschliche Seite der Politik
Last but not least noch einmal zurück zur Figur Birgitte Nyborg. Hier thematisiert Borgen nämlich etwas, das in der Öffentlichkeit sonst selten Aufmerksamkeit bekommt und das ich auch in Serien so bisher kaum gesehen habe: Die Wechseljahre. Birgitte hat immer wieder Hitzewallungen und muss ihr Oberteil wechseln, weil es durchgeschwitzt ist. Sie hat Stimmungsschwankungen. In einer Szene muss sie eine wichtige Verhandlung unterbrechen und ihre Assistentin um einen Tampon bitten, weil sie überraschend ihre Periode bekommen hat. Das alles wird sehr sachlich erzählt. So ist es eben, wenn Frauen ein gewisses Alter erreichen, und auch vor einer Birgitte Nyborg macht es nicht halt. Neben der Politikerin ist sie eben immer noch ein Mensch. Darauf lag schon immer ein Fokus der Serie, und sie haben es auch hier wieder gezeigt. Wenn es möglich wäre, würde ich die Serie allein dafür sogar noch ein bisschen mehr lieben.
Nach dem Abschluss der Dreharbeiten zur dritten und damals zunächst letzten Staffel hatte Showrunner Adam Price nicht ausgeschlossen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt weitere Folgen von Borgen geben würde (s. BBC-Artikel). Zum Glück ist es so gekommen.
Neben den neuen Folgen sind auch die ersten drei Staffeln von Borgen bei Netflix verfügbar.
Linktipp: Borgen: How the Danish political drama has been ‚reinvented‘ | BBC